Matthias Jung


 

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Zeitsprung - Gemeinde 2030

 

 

 

Umsonst! - Bedingungslos geliebt.

Reformationstag 2012


»Ich glaube an Gott, den Vater, den Allmächtigen, den Schöpfer des Himmels und der Erde.
Was ist das?
Ich glaube, daß mich Gott geschaffen hat samt allen Kreaturen, mir Leib und Seele, Augen, Ohren und alle Glieder, Vernunft und alle Sinne gegeben hat und noch erhält; dazu Kleider und Schuh, Essen und Trinken, Haus und Hof, Weib und Kind, Acker, Vieh und alle Güter; mit allem, was not tut für Leib und Leben, mich reichlich und täglich versorgt, in allen Gefahren beschirmt und vor allem Übel behütet und bewahrt; und das alles aus lauter väterlicher, göttlicher Güte und Barmherzigkeit, ohn all mein Verdienst und Würdigkeit: für all das ich ihm zu danken und zu loben und dafür zu dienen und gehorsam zu sein schuldig bin. Das ist gewißlich wahr.«
(Martin Luther, Kleiner Katechismus, Zweites Hauptstück, Erster Artikel)

 

Liebe Gemeinde,

Reformationstag. In wenigen Jahren wird es 500 Jahre her sein, dass Martin Luthers Glaubenserkenntnis die Welt verändert hat. Mit dem 31. Oktober 1517 verbindet sich die Erinnerung an diese Wende, denn der öffentlichkeitswirksame Thesenanschlag an der Wittenberger Schlosskirche ist ein geeigneter Anlass. Wir sehen den Mönch Martin Luther im fahlen Morgengrauen mit Papierrolle, Hammer und Nägeln zur Kirche laufen, Schläge hallen über den menschenleeren Platz, Luther verschwindet wieder und hat den Schritt getan, ohne den wir heute Abend auch nicht hier sitzen würden.

Manchmal hilft es, Dinge plakativ darzustellen. Das Bild von den Thesen an der Schlosskirche ist so eins und Luther hat selbst auch immer wieder versucht, die Dinge auf den Punkt zu bringen. Der Kleine Katechismus ist so entstanden, um Christinnen und Christen in wenigen einprägsamen Worten vor Augen zu stellen, was Sache ist.

Glaube statt Werke, es gibt keine Möglichkeit, Gott gnädig zu stimmen und das muss auch gar nicht sein. Weder meine Anstrengungen noch das Kaufen von Ablassbriefen sind hilfreich und gut. Im Gegenteil, damit wird alles vertan, denn Gott schenkt mir seine Gerechtigkeit. Umsonst, wie Luther immer wieder betont, anders gesagt: er schenkt mir seine Liebe bedingungslos, weil er mich bedingungslos liebt. Das ist und war ärgerlich, damals und heute, weil es unserer Lebenswirklicheit massiv widerspricht. Denn gelernt haben wir und erleben es Tag für Tag: Leben läuft über Leistung, von nix kommt nix und für meine Anstrengung erhalte ich zu Recht Lohn und Anerkennung. Und so streiten im Leben des Christen, der Christin bis heute zwei Lebensprinzipien miteinander: Leistung oder Geschenk, Belohnung für meinen geleisteten Einsatz oder Vorschuss für zukünftige Anstrengung. Die Welt lehrt uns: Leistung lohnt sich, muss sich lohnen, wird sich lohnen – Gott dagegen sagt: Ich liebe dich bedingungslos, gebe dir einen Vorschuss, und dann kannst du tun, was du willst, und du wirst tun können, was du willst.

Wir merken, wie das im Bauch grummelt. Wir merken, wie sehr diese Sichtweise Gottes unserer entgegengesetzt ist. Es grummelt. Und das ist gut so, denn da meldet sich die unerlöste Welt in uns. Wäre es anders, wäre Jesus umsonst gestorben. Er stand für diese bedingungslose Liebe Gottes ein, Tag für Tag, und war am Ende bereit, alles darauf zu setzen, sein ganzes Vertrauen, sein ganzes Leben.

Zwei Lebensprinzipien. Zwei Lebenswege. Der eine ist uns vertraut. Schon bald nach der Geburt beginnt es, dass wir unsere Kinder an den Weg der Leistung und der darauf folgenden Belohnung heranführen. Natürlich stehen Spiel und freie Entfaltung zunächst im Vordergrund, aber mit der Zeit lehren wir unsere Kinder das Belohnungsprinzip. Und es hat sich verschärft in den letzten Jahrzehnten, meine ich. Immer früher sollen unsere Kleinen lesen und schreiben, ja mancher Kindergarten beginnt schon mit Englisch-Unterricht. Eltern fragen hier bei der Anmeldung, was ihre Kinder lernen, bis sie in die Schule kommen. Und dann geht es weiter, ich komme nur vorwärts mit Leistung. Sie entscheidet über die weiterführende Schule, über Berufs- oder Studienmöglichkeiten. Später muss ich gucken, wie ich mein Geld verdiene, muss mich anpassen und Leistung bringen, sonst kommt die Entlohnung, die Belohnung nicht. In meinen Beziehungen muss ich oft auch Leistung erbringen, damit es gut geht und ich nicht wieder alleine bin. Und wenn erst mal Kinder da sind, dann erst recht: Eltern haben die Verpflichtung, dafür zu sorgen, dass ihre Sprösslinge später den Anschluss an die Welt schaffen und da liegt viel Verantwortung auf ihren Schultern. Manche schaffen es, viele nicht und das Schlimme ist, dass dies dann schnell mit Schuldgefühlen und Vorwürfen einhergeht: Du hast deine Leistung nicht gebracht, deswegen hast du jetzt keinen Beruf, keinen Arbeitsplatz, keine Frau oder Mann oder deine Kinder sind Schulversager. Und jetzt liegst du der Gemeinschaft auf der Tasche, beziehst Hartz-IV, du Versager. Oder es kostet die Krankenkassen ein Vermögen, deine Kinder auf Trapp zu bringen. Leistung bestimmt unsere Welt, macht unseren Wert aus. Daran hängen wir unser Herz, an die Leistung, glauben an die belohnende Gerechtigkeit. Wir glauben an den Gott der Leistung. Dieser Leistungsgott ist ein gnadenloser Gott: er belohnt die Tüchtigen und stößt alle anderen in den Abgrund, du bist schuld, du bist schuld, du bist schuld. Hättest du dich mehr angestrengt, dann... Und am Ende glaube ich es und denke, ich bin schuld, ich bin schuld, ich habe mich nicht genug angestrengt...

Genau da setzt die Erfahrung Luthers an: Vor einem Gott, der Leistungen fordert und diese belohnt, mit ewigem Leben oder was auch immer, vor solch einem Gott kann ich unter dem Strich nur versagen. Luther erkannte: Ich habe es versucht mit Fasten und Beten und es führte mich immer nur noch tiefer in die Verzweiflung. Seine wahrlich umwälzende Erkenntnis war: Das alles ist vor Gott gar nicht nötig, er schenkt mir seine Gnade, seine Liebe, umsonst. Bedingungslos, aber keineswegs folgenlos. Luthers Erfahrung lautet: Wenn ich von der Sorge um mich selbst befreit bin, dann werde ich mich mit Freuden meinen Nächsten zuwenden. Nicht mehr die Hoffnung auf Belohnung bestimmt mein Denken, Fühlen und Verhalten, sondern dieser Vorschuss: für mich ist gesorgt, mein Seelenheil ist sicher, ich kann und muss es nicht erarbeiten, nicht vor Gott.

Vielleicht aber in der Welt? Die ist doch anders geprägt. Seelenheil und Glaube hin oder her, vom Beten und Singen kann ich mir morgen meine Brötchen nicht kaufen. Das ist richtig. Aber träumen dürfen wir mal. Und wir sollten das auch tun, das hilft und bleibt nicht folgenlos.

Wie könnte dieses Träumen von einer Welt, die vom Vorschuss her lebt, aussehen? Nehmen wir mal an, es gäbe so etwas wie ein bedingungsloses Grundeinkommen. Also jeder Mensch würde, sagen wir, 2000 € im Monat zur Verfügung haben, Kinder etwas weniger. Wie das zu finanzieren wäre, das lassen wir mal einen Augenblick außen vor, wir träumen ja, und da ist alles erlaubt. Sagen wir also, es würde klappen mit der Finanzierung. Wie wäre das? Manch einer sagt jetzt, dann bricht alles zusammen, weil keiner mehr einen Finger rührt. Glaube ich nicht. Menschen sind neugierig und wir wollen doch was tun. Das ganze Leben in der Hollywoodschaukel oder am Strand, mal ganz ehrlich, wer will das? Zwei, drei, vier Wochen ja, aber dann? Wir wollen doch arbeiten, Leistungen bringen, weil es in uns drin liegt. So, und jetzt träumen wir mal weiter und sagen: wie wäre das, mit 2000 € auf Vorschuss. Ohne Bedingungen, umsonst eben. Monat für Monat, Jahr für Jahr, immer ein Leben lang. Träumen wir doch mal. Wahrscheinlich würde ich meine Kinder viel mehr zum Spielen anhalten. Die KiTa würde ich danach aussuchen, was sie an Entfaltungsmöglichkeiten bietet. Die Walldorfpädagogik war schon immer der Meinung, das klappt, wenn man Kindern Freiraum lässt und ich glaube, so ganz verkehrt liegen die nicht. Und dass der Leistungsweg von Schule und Ausbildung nicht immer die Nobelpreisträger hervorbringt, nun, das sehen wir nicht nur an dem Schulversager Albert Einstein. Ein Vorschussprinzip sagt: das wird schon. Mach, was du willst, und alles wird gut. (Wir merken wieder, wie es im Bauch grummelt? Das ist er wieder unser Unglaube!) Ich glaube, unser Leben verliefe entspannter. Wir würden schon Leistungen bringen. Dann, wenn wir wollen und das würde uns Riesenspaß machen. Weil ich weiß: egal ob das jetzt klappt, die Welt geht nicht unter, wenn ich versage oder der Weg nicht mit Erfolg gekrönt ist, denn ich habe ja meine 2000 € sicher. Gut, vielleicht muss ich den Jaguar abgeben – aber ich muss nicht zur Arbeitsagentur betteln gehen und eingestehen, ich bin ein Versager, ich hab´s nicht geschafft. Ich könnte auch mal mit der Arbeit aussetzen oder die Rente beginnen lassen, wann ich will und nicht nach 40, 45 Leistungsjahren oder weil ich schon oder erst 67 bin. Ein Traum, liebe Gemeinde, ein Traum vom Leben auf Vorschuss.

Und was bringt das? Sehnsucht kommt auf, wir erkennen, wie weit wir von der bedingungslosen Liebe Gottes in unserem Alltag weg sind, wie stark Sünde unser Leben durchzieht und prägt. Träume sind eben nicht nur Schäume, sie regen an, bringen in Bewegung. Das Belohnungsprinzip kann in unserem Alltag hier und da schon durchbrochen werden, und es mag auch politische Ziele geben, die eher der bedingungslosen Liebe entsprechen als dem Leistungsprinzip. Und Weltuntergangsphantasien sind unangebracht. Es geht. Eine Welt, die von einem umfassenden Vorschussprinzip her lebt ist möglich, sonst wäre Gottes bedingungslose Liebe folgenlos oder würde sich nur auf unser Seelenheil, das ewige Leben beziehen. Das aber wäre eine totale Missachtung dieser Welt, von der wir Christinnen und Christen doch sagen, das hier ist die gute Schöpfung Gottes und keineswegs nur der Kampfplatz für die Plätze im Himmelreich oder in der Hölle. Christinnen und Christen, die christliche Gemeinde sagen, ja das geht schon. Das glaube ich, glauben wir. Sonst wäre Jesus umsonst gestorben. Glauben wir doch Gott seine bedingungslose Liebe Tag für Tag und das wird nicht folgenlos bleiben. Wo und wie auch immer. Mehr müssen wir nicht tun. Nicht die Welt retten, das können wir genauso wenig wie uns selbst retten. Nur glauben, Gott seine bedingungslose Liebe glauben. Und dann lieben, weil wir geliebt sind. Das reicht. Und es beginnt ganz oft mit dem Träumen. Träumen ist erlaubt, ja geboten. Was wäre, wenn... Träumen von einer Welt, in der Gottes Prinzip lebendig ist. Es bleibt nicht folgenlos. Kann es nicht, weil Gottes Geist wirkt.

Amen.